© by F. 1999
Blau, meine Damen und Herren, ist eine Farbe, die Friedhelm Maria Leistner noch nie erlebt hat: Er ist nämlich Abstinenzler. Insofern erstaunt mich seine Vorliebe, ja nachgerade Sucht nach diesem Farbgefühl nicht im mindesten. Da ihm, an Kirsch-Banane-Säften nippend, der natürliche Weg zum Rausch versperrt bleibt, muß er ihn künstlich - sprich: künstlerisch - erzeugen. Wer je in ein Farbgeschäft gegangen ist und sich ein Beutelchen Pigmente aushändigen ließ, weiß, welch magische Verlockung davon ausgeht. Ich zum Beispiel besitze seit Jahren ein Glasröhrchen voll mit violettem Pulver, das ich einmal wöchentlich begehrlich anstarre und dann deprimiert wieder in die Schublade zurücklege, weil ich damit allenfalls Schäden anrichten, aber nichts Sinnvolles erzeugen kann. Violett ist nicht blau, und deshalb hat Friedhelm Maria Leistner mir wahrscheinlich großherzig diese Farbe abgetreten. Im Gegenzug bin ich ihm eigentlich noch eine Tüte Buchstabensuppe schuldig. |
Böse, meine Damen und Herren, ist ein Gemütszustand, dem sich Friedhelm Maria Leistner nur in Phasen extremsten Geldmangels annähert. Bei Hans Fallada las ich einmal das mir unbekannte Wort "mißkumpabel" - wahrscheinlich vom Autor selbst erfunden -, und "mißkumpabel" beschreibt ziemlich exakt die Gefühlsabwallung, die dann entsteht, wenn einem der Geldautomat, freundlich, aber resolut, die Karte wieder entgegenstreckt - ohne sich zu einer Auszahlung zu bequemen. Ich weiß nicht, ob's Ihnen auch so geht, aber ich habe dann immer das Gefühl, der Automat strecke mir die Zunge heraus. "Böses und Blaues" könnte man also so übersetzen: "Wenn ihr nicht ziemlich viele Bilder von mir kauft, werde ich ernstlich böse, und ihr ärgert euch blau über die versäumte Gelegenheit." |
"Hah!" werden jetzt die Philologen sagen, "es heißt aber schwarzärgern, nicht blau!" Und nach der neuen Orthographie kann man?s vermutlich zu "schwärgern" zusammenziehen. "Ihr werdet euch also schwärgern, keinen Leistner gekauft zu haben!" denkt sich der Künstler im Stillen und merkt, wie schon beim Gedanken daran eine gewisse innerliche Bläue heraufzieht. Daraus könnte man schlußfolgern, niedrige Kontostände seien gut für die Kunst. Eine beliebte Anschauung, vor der ich eindringlich warne! Da in dieser Gesellschaft Achtung an Einkommen geknüpft ist, drückt fehlendes Einkommen mangelnde Achtung aus, und das ist nicht gerade das Fundament für schöpferische Tätigkeiten. Der Dramatiker und Essayist Peter Hacks hat das in ein gültiges Gesetz gegossen, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: |
Der richtige Haushalt für den Künstler ist derjenige Haushalt, von dem er am wenigsten merkt. (...) Worauf es also für ihn ankommt, ist Entlastung, und die größtmögliche Entlastung bietet vermutlich der Standard des gehobenen Mittelstandes. |
Nicht umsonst versammeln wir uns hier in einem angenehmen Hotel und nicht in einem zugigen, unbeheizten Atelier oder jenen Ruinen, die man kurz vorm Abriß gerne zu Galerien deklariert, weil sich das Vitale angeblich so gerne mit dem Morbiden paart. Das ist in etwa so, als wenn man Literatur nur noch auf die leeren Rückseiten von Werbeprospekten drucken darf, weil reinweißes Papier nützlicheren Zwecken vorbehalten bleiben soll. Nun gibt es unbestrittenerweise eine Menge Kunst, die hochgradig unnütz ist, weil man daran weder seine Wäsche zum Trocknen aufhängen kann, noch sie auf irgendeine Art von Fernbedienung anspricht, aber zu dieser Sorte Kunst gehören die Bilder von Friedhelm Maria Leistner eindeutig nicht. Sie sind nützlich, weil sie einem zum Beispiel den Kauf eines Aquariums ersparen, das ja bekanntlich doch nur dazu neigt, die Fische hinter grünlichen Algen zu verbergen. Außerdem braucht keiner, der mit seinen Kindern in dieser Ausstellung war, je Urlaub auf dem Bauernhof zu machen, weil das, was er dort zu sehen kriegt, ohnehin nur die halbe Wahrheit verrät. Das ganze geheime Nachtleben der Tiere lernen wir erst bei Friedhelm Maria Leistner kennen, den - so vermuteich - immer noch ein paar philosophische Grundfragen quälen, wie etwa das unlösbare Problem jedes Fünfjährigen, wo bei einer Schlange die Schlange aufhört und der Schwanz anfängt- Kinder haben Röntgenaugen, das wissen wir alle, und durchschauen mühelos jedes schlechte Argument, jede gesellschaftliche Inszenierung. Zum Glück für die Erwachsenen können sie diese Röntgenbilder meist nicht vollständig interpretieren, und bis sie das gelernt haben, hat man ihnen den Durchblick schon wieder abgewöhnt. Wie in jedem echten Künstler wohnt auch in Friedhelm Maria Leistner ein circa achtjähriger Junge - daher die Abstinenz! -, der über das monotone "Warum?" des Vierjährigen schon hinausgewachsen ist und sich in der Phase der Theoriebildung befindet. Er beantwortet sich seine Fragen selbst, indem er einen komplexen Weltzusammenhang konstruiert. Die meisten machen das mit Lego; Friedhelm Maria Leistner benutzt dazu den Farbkasten. Das hat unter anderem den Vorteil, daß er es auch noch jenseits des 30. Lebensjahres tun kann, wo Legospielen in den Ruch einer devianten Neigung kommt, die man höchstens heimlich im Keller praktizieren darf. |
Meine Favouriten in dieser seltsamen, aber höchst plausiblen Leistnerwelt, sind die beiden ratlosen Hühner, denen ein Straußenei geboren wurde. Ganz hoch gegriffen, stellt das den Mythos von Sisyphos vom Kopf auf die Krallen: Ständig legt einem jemand Rieseneier ins Nest, die man sich dann redlich auszubrüten bemüht, doch kaum ist der familienfremde Strauß entlaufen, liegt da schon wieder so ein Ding! So geht's bis ans Ende unserer Tage, und den beiden Hühnern ist anzumerken, daß sie die Bescherung nicht zum ersten Mal erleben. Ihre resignierten Mienen verraten Einsicht in den Lauf der Welt, und ich könnte mir dieses Bild in jeder deutschen Amtsstube vorstellen, direkt neben dem Portrait des Bundespräsidenten. ?Nun brütet mal schön!? sagt der zu den Hühnern, und wenn Sie genau hinschauen, brüten die ja gar nicht! Sie lassen das Ei, schlau geworden am Mißerfolg der Jahre, einfach links liegen. Prinzip Ablage, die Regel, nach der der gesunde Menschenverstand jedwede Sisyphosarbeit von sich weist. |
Kein Zufall ist die Vorliebe für gefiederte Hausgenossen, auch wenn sich der Tierpark im Laufe der Jahre stetig erweitert hat. Als ich Friedhelm Maria Leistner vor einem Dutzend Jahren beim Zivildienst im nachbarlichen Gütersloh kennenlernte, sah er aus wie Frank Zappa in den Siebzigern und sprach seltsame Dinge. "Ich habe nämlich einen Vogel", sagte er, um seiner Einladung zu ihm nach Hause den nötigen Nachdruck zu verleihen. "Ja", dachte ich mir, "das hast du bestimmt." Hatte er aber! Der Vogel hieß Konrad, war quietschfiedel und so auf die Haare seines Herrn abgerichtet, daß er beim Spaziergang gern mal Kurs auf unbescholtene ältere Damen nahm, die ihre graue Pracht unvorsichtigerweise nachgedunkelt hatten. Ich weiß nicht, wie's Ihnen gehen würde, wenn sich eine ausgewachsene Rabenkrähe auf Ihrer Schulter breitmacht - die meisten dieser Damen entwickelten eine beachtliche Fluchtgeschwindigkeit. Mit dem Resultat, daß Konrad eines Tages beschloß, nur noch auf Bäumen zu landen und kreischende Schultern von Menschen zu ignorieren. Jetzt wissen Sie, woher diese geheime Sehnsucht nach dem skeptischen Tierblick kommt, der so oft bei Friedhelm Maria Leistner auftaucht. Ein Überbleibsel der ersten großen Liebe, die einen ja bekanntlich nie mehr losläßt. Vielleicht verlieben Sie sich in eines der Bilder, und die Tatsache sei Ihnen gewiß: Wegfliegen werden die nicht. Dafür ist der Rahmen zu wuchtig konstruiert. |
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